Jugendcamp 2018 in Tamera, Portugal
„Der Glaube, dass wir etwas in der Welt bewirken können“
Jedes Jahr im Sommer kommen in Tamera Jugendliche zwischen 13 und 18 für zwei Wochen zusammen, um Gemeinschaftsleben zu erfahren, FreundInnen zu finden und einen neuen Blick auf die Welt und Perspektiven für eine lebenswerte Zukunft zu entdecken. In diesem Jahr hatten wir 43 TeilnehmerInnen aus Portugal, Deutschland, der Schweiz, Israel, den USA und Kolumbien. Eine Zeit mit außergewöhnlichem Tiefgang – sowohl politisch als auch menschlich.
Nora Czajkowski, Teil des Leitungsteams
Wir möchten den Jugendlichen eine Grunderfahrung von Gemeinschaft und Vertrauen ermöglichen, so dass sie von dieser Basis aus einen anteilnehmenden Blick in die Welt richten und neue Antworten auf die Fragen finden können, vor denen sie als junge Generation heute stehen. In einer Welt, die von Krisen geschüttelt ist, geht es mehr denn je darum, glaubhafte Visionen und Ideen für ein friedliches Zusammenleben auf der Erde mit allen Mitgeschöpfen zu entwickeln. Anhand der vier Schwerpunktthemen Wasser, Energie, Nahrung und Gemeinschaft, warfen wir einen Blick in die Welt und schauten von dort aus, welche Lösungsansätze wir bereits in Tamera dazu entwickelt haben:
-Warum gibt es nicht ausreichend Trinkwasser in vielen Regionen der Erde und was können wir dagegen tun?
-Warum zerstören wir die Umwelt durch die Ausbeutung Erdöl, Gas und Kohle?
-Was wären alternative Wege zur Energieversorgung?
-Warum leiden so viele Menschen an Hunger und wie würden regionale und nachhaltige Versorgungskreisläufe aussehen?
-Und nicht zuletzt: Warum ist der Aufbau von Vertrauensgemeinschaften, in denen die Fragen von Freundschaft, Liebe und Sexualität eingebettet sind, heute ein politisches Thema?
Schon in den ersten Tagen konnten wir spüren, wie wach und engagiert die Jugendlichen teilnahmen und wie groß ihre Lust war, sich mit globalen, politischen Themen auseinanderzusetzen, sobald Alternativen sichtbar werden.
Wir stiegen dann weiter in das Thema der geplanten Ölbohrungen vor der Küste Portugals ein. Wir gaben ihnen die Aufgabe, eine Pressekonferenz mit Fragen vorzubereiten und danach ihre Ergebnisse im Theater als Fernsehbeiträge wiederzugeben. Die Jugendlichen verarbeiteten ihre geistige Ernte kreativ und eigenständig.
Dann haben wir auf ganz ähnliche Weise auch die Themen von Gemeinschaft, Liebe und Sexualität berührt. Wir haben getrennte Gesprächsräume für Mädchen und Jungs angeboten, in denen sie in einem geschützten Rahmen ihre Fragen und Erfahrungen teilen konnten. Wieder erarbeiten die Jugendlichen in Kleingruppen Theaterszenen, in denen sie die behandelten Themen kreativ verarbeiteten. Dabei entstanden sehr kreative Szenen. Wie sehr die Herzen der Jugendlichen aufgehen, wenn sie neue Bilder, Ideen und Möglichkeiten bekommen, wie sie ihre erwachende Lust und Neugierde auf die Liebe und den Eros auch ausdrücken können!
Von Beginn an starteten wir mit dem Forum, eine Kommunikationsform, bei der sich Einzelne vor der Gruppe zeigen und Feedback auf ihren Auftritt bekommen. In Tamera nutzen wir das Forum fast täglich, als Basis für den Aufbau von Vertrauen und die Bearbeitung menschlicher Konfliktstellen. In unserer Erfahrung ist es für Jugendliche nicht so leicht, sich vor einer Gruppe von 50 neuen Menschen zu öffnen und zu zeigen. So starteten wir mit kreativen Abwandlungen des Forums, indem wir z.B. 2 Menschen in die Mitte des Forums holten, die jeweils die Aufgabe hatten, den Anderen vorzustellen. Dadurch entwickelten sie einen spielerischen, leichten Zugang zum Forum und nach 5 Tagen begannen sie von selber mit eigenen Herzensthemen in die Mitte zu gehen.
Von da an wollten jeden Tag mehr von ihnen in die Mitte. Es bewegend zu erleben, wie sie ihre Fragen in der Liebe, besondere Glücksmomente, ihre Zweifel und Erfahrungen voreinander sichtbar machten. Sie waren dabei oft so ehrlich und unverstellt, dass viele sich in den Anderen wieder erkannten. Sie sahen, wie sehr sie die gleichen Fragen bewegten, dass sie beginnen konnten sich zu unterstützen und vor allem – einander zu vertrauen. Wir bemerkten, dass es für viele das erste Mal war, dass sie sich vor einer Gruppe zeigen konnten, ohne für ihre Fragen und Schwächen ausgestoßen, verurteilt oder gemobbt zu werden. Durch die Anerkennung und den urteilsfreien Raum blühten sie immer mehr auf, trauten sich, sich immer authentischer zu zeigen.
Einmal luden wir Dieter Duhm, den Mitbegründer des Projektes, ein. Es war eine inspirierte Runde. Es ging um den Ausstieg aus dem Mainstream, um kritisches Hinterfragen des Wertekanons der kapitalistischen Globalisierung, der Digitalisierung und dem Umgang mit Smartphones. Der Gedankenraum entfaltete sich bis hin zu den Fragen: Woher kommen wir? Was ist das Leben? Gibt es einen Himmel und wenn ja, was verstehen wir darunter?
Ein Höhepunkt des Camps war in diesem Jahr ganz sicher die gemeinsame Aktion mit den AktivistInnenen von „Defend the Sacred“. Am 4. August fuhren wir alle zusammen mit vier Reisebussen an einen Strand in der Nähe von Lissabon, um dort an der Kunstaktion gegen die geplanten Ölbohrungen unter der Leitung von John Quigley teilzunehmen. (Mehr zur der Aktion…)
Ich empfand in dieser Art der Zusammenkunft der globalen Gemeinschaft und in ihr der verschiedenen Generationen, die sich für den Schutz dieses Planeten und seines Lebens einsetzen, ein tiefes Heimatgefühl. Es war das Gefühl, dass wir das Richtige tun. Ich fühlte mich der Aufgabe sehr nahe, die wir Menschen, die zu dieser Zeit auf der Erde leben, haben. Für uns ist es ein tiefes Anliegen, den Jugendlichen zu helfen, ihren Platz und ihre Aufgabe in einer so komplexen und tief zerrütteten Welt wieder zu finden und einzunehmen. Momente wie diese sind für mich ein Wegweiser und echter Hinweis, worum es heute geht.
Ein besonderes Geschenk in diesem Jugendcamp war die Teilnahme zweier junger indigener Frau: Ati Gumnabia, 15, vom Stamm der Arhuaco aus der Sierra Nevada de Santa Marta, Kolumbien, und Tokata Iron Eyes, 14, Jugendaktivistin der „Standing Rock Sioux Nation“ in Nordamerika. Beide sind schon in ihrem jungen Alter politische Aktivistinnen und Botinnen des traditionellen Wissens ihrer Stämme. Wir gaben ihnen Zeit, von ihrer Arbeit, dem Ort an dem sie leben, ihren Herausforderungen und Überzeugungen zu berichten.
Für Ati ist es ganz selbstverständlich: „Was die westliche Zivilisation „Fortschritt“ nennt, können wir nicht als solchen erkennen, denn er zerstört die Umwelt, das Wasser, die Erde. Wir können nicht von Fortschritt sprechen, wenn es die Grundlage unseres Lebens zerstört.“ Als ich einmal sie fragte, ob sie abschließend noch etwas zu unserer Jugendgruppe sagen möchte, lächelte sie und sagte voller Herzenswärme: „Ja, unbedingt: ich möchte euch alle einladen, uns besuchen zu kommen und zu sehen, wie wir auf der anderen Seite der Erde miteinander und mit der Erde leben.“
Tokata: „Das Jugendcamp verbindet mich wieder mit meinem ursprünglichen Ziel. Ich reise so viel, erhebe überall meine Stimme und letztlich sage ich den Leuten immer das Gleiche. Es macht das Herz schwer, wenn man das dauernd sagt und sich trotzdem nichts ändert. Das Jugendcamp hilft mir, wieder den Glauben zu finden, dass wir als junge Generation etwas bewirken können.“
Wir danken allen, die am Camp teilgenommen haben und die diese Erfahrungen möglich gemacht haben.